März 07, 2023

Chemotherapie induzierte Polyneuropathie

Frau sitzt mit Buch auf Stuhl während Chemotherapie

Chemotherapie bei Krebserkrankungen zählt nach Diabetes mellitus und Alkoholmissbrauch zu den häufigsten Auslösern einer Polyneuropathie. Wie oft die Chemotherapie-induzierte Polyneuropathie (CIPN) vorkommt, wie man sie erkennt und wie man sie behandelt, erfahren Sie im Folgenden.

Die Zahl der Krebssurvivor steigt von Jahr zu Jahr an. Das liegt sowohl an verbesserten Früherkennungsuntersuchungen als auch an deutlich besseren Therapiemöglichkeiten. Trotz großer Heilungschancen ist die Lebensqualität von Krebspatient*innen oft stark eingeschränkt. Verantwortlich dafür ist nicht nur die Grunderkrankung selbst, sondern vor allem die Langzeitfolgen der eingesetzten Therapieverfahren, wie Strahlen- oder Chemotherapie.

Auch wenn die Zahl der Menschen, die an Krebs versterben, sinkt, so steigt doch die Zahl der Inzidenzen weiterhin an. Und mit ihr die Zahl derer, die mit den Folgen und Nebenwirkungen einer Krebstherapie kämpfen.

Polyneuropathie als Nebenwirkung der Krebstherapie

Zytostatika werden als wesentlicher Pfeiler der Tumortherapie seit rund 60 Jahren eingesetzt. Zwar werden diese konstant weiterentwickelt. Akute Nebenwirkungen wie Übelkeit, Erbrechen, Haarausfall oder Knochenmark-Schädigungen sind dennoch ein großes Thema in der Krebstherapie und gefürchtete Nebenwirkungen selbiger.

Eine erhebliche Rolle bei den neurologischen Langzeitfolgen einer Krebstherapie und der eingesetzten Zytostatika spielt das Auftreten einer peripheren Neuropathie, die sich durch Kribbeln und Brennen in Händen und Fingern, Füßen, Zehen und Beinen äußert und zu Taubheitsgefühlen und Missempfindungen führen kann.

Viele der Betroffenen klagen zudem über chronische Schmerzen. Lesen Sie in "Was ist Polyneuropathie" mehr zu den Symptomen einer PNP.

Die Prävalenz einer Polyneuropathie, das heißt, die Wahrscheinlichkeit, dass diese eintritt, ist bei Akuttherapien mit Taxanen und Platinderivaten am höchsten. Aber auch die Behandlung mit Antikörperkonjugaten bzw. Immunmodulatoren kann zu einer CIPN führen.

Warum die CIPN besonders problematisch ist

Die CIPN stellt Mediziner und Patient*innen in vielerlei Hinsicht vor Probleme und Herausforderungen. Einerseits ist sie bis heute schwer zu diagnostizieren und zu therapieren. Andererseits sind die Beeinträchtigungen für die Patient*innen im Alltag teilweise immens groß.

Außerdem kämpfen viele Betroffene auch nach Beendigung der Chemotherapie noch mit Beschwerden und stehen hier oft vor der Frage: Wer ist zuständig?

Eine Besserung der Symptome ist prinzipiell möglich, hängt jedoch sowohl von der Dosis als auch vom Therapeutikum sowie den Vorerkrankungen ab. Während nach einer Akuttherapie mit Taxanen nach einigen Monaten eine Linderung der Beschwerden in bis zu 70 % berichtet wird, zeigt sich vor allem bei platinbasierten Therapien häufig eine Irreversibilität.(1)

Wie häufig eine CIPN vorkommt, lässt sich nur schwer sagen. Je nach eingesetztem Mittel und Dauer der Anwendung reicht die Wahrscheinlichkeit ihres Auftretens von 10-95%.

Chemotherapie induzierte Polyneuropathie eine Hand hält die andere fest

Wie entwickelt sich eine Chemotherapie induzierte Polyneuropathie?

Therapeutika, mit denen Krebs behandelt wird, schädigen die Nerven auf zweierlei Wegen.

  • Nervenzellen werden direkt durch die chemotherapeutischen Substanzen angegriffen und geschädigt. Teilweise unterliegen die Zellen sogenanntem oxidativen Stress. Das heißt, dass ein Ungleichgewicht in der Zelle entsteht: Es sind mehr freie Radikale als Radikalfänger vorhanden. Dies beeinflusst den Zellstoffwechsel negativ oder bringt ihn im schlimmsten Fall komplett zum Erliegen.
  • Entzündliche Prozesse im Nervensystem werden hervorgerufen. In vielen Fällen ist das eigene Immunsystem damit überfordert, diese zu bekämpfen.

Typischerweise zeigen sich erste sensorische Ausfallsymptome und Schmerzen innerhalb der ersten zwei Monate nach Therapiebeginn.

Für die Praxis ist wichtig, dass bei Krebserkrankungen auch Polyneuropathien vorkommen können, die nicht ausschließlich auf die Chemotherapie zurückzuführen sind. Andere Auslöser im Zusammenhang mit einer Krebserkrankung sind bspw.:

  • Tumorinvasion: Tumorzellen wachsen in Gefäße ein oder zerstören gesundes Nervenzellgewebe. Ebenso kann eine Tumormasse auf Nerven drücken und fehlgeleitete Impulse verursachen.
  • Chirurgische Eingriffe: Nerven können auch durch Operationen beschädigt werden.
  • Strahlentherapie: Die thermischen Reize können zu Nervenschädigungen führen.

Polyneuropathie - Diagnose

Bemerken Krebspatient*innen Einschränkungen oder sensomotorische Störungen, sollten Sie in erster Linie ihre Onkologen davon in Kenntnis setzen. Die Probleme gilt es bei der Krebstherapie unbedingt zu berücksichtigen.
Neben einer ausführlichen Symptom-Anamnese (u.a. auch mithilfe von Schmerztagebüchern) folgen in der Regel klinisch-neurologische Untersuchungen wie

  • Überprüfung der Reflexe
  • Sensibilitätsprüfungen
  • Vibrationsprüfung mit Stimmgabel

und neurografische Untersuchungen wie

  • Elektromyografie
  • Elektroneuropathie

Ausschlaggebend in der Diagnostik ist der Zeitpunkt des Auftretens im Therapieverlauf. In der klinischen Diagnostik werden vier Schweregrade der CIPN unterschieden:

  • Grad 1: Symptome, keine Funktionseinschränkung
  • Grad 2: Symptome mit Funktionseinschränkung ohne Beeinträchtigung der Aktivitäten des täglichen Lebens
  • Grad 3: Zusätzliche Beeinträchtigung der Aktivitäten des täglichen Lebens
  • Grad 3: Zusätzliche Beeinträchtigung der Aktivitäten des täglichen Lebens

Behandlung und Folgen einer Chemotherapie induzierten Polyneuropathie

Bei der Behandlung einer Polyneuropathie steht die Minderung der Symptome im Vordergrund. Das umfasst vor allem die Schmerztherapie mit Medikamenten.

Einzelne positive Ergebnisse in der Symptombekämpfung zeigten sich mit Antidepressiva wie Amitriptylin und Duloxetin, Antikonvulsiva wie Gabapentin und Pregabalin sowie Acetyl-L-Carnitin.

Je nach Beschwerdebild und ursächlichem Zusammenhang kann eine CIPN dazu führen, dass die Dosis des Chemotherapeutikums reduziert oder es ganz abgesetzt wird, die Chemotherapie also abgebrochen bzw. umgestellt wird.

Alternativ kommen Akupunktur, Sport- und Physio- sowie manuelle Therapien zum Einsatz.

Einen umfassenden Einblick in Behandlungsmöglichkeiten einer Polyneuropathie gibt unser Blogbeitrag zum Thema „Was ist Polyneuropathie“.

In einigen Fällen - es sind hierzu keine klaren Statistiken vorhanden - stabilisiert sich der Zustand der Nerven oder bildet sich nach Absetzen der Therapie zurück. Garantiert ist dies aber nicht. In manchen Fällen verschlimmert sich die Symptomatik sogar. Die eingesetzten Substanzen und ihre Dosierung sowie die Dauer der Therapie gelten als wichtige Einflussfaktoren darauf, ob die CIPN reversibel ist oder Betroffene von Langzeitfolgen ausgehen müssen.

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Wie kann ich einer Chemotherapie induzierten Polyneuropathie vorbeugen?

Die American Society of Clinical Onkology (ASCO) hält keine Empfehlungen bereit, mit denen sich einer Polyneuropathie vorbeugen ließe. Sie weist allerdings auf verschiedene Substanzen hin, die eine präventive Wirkung haben könnten.

Einige Studien bspw. deuten darauf hin, dass bei der Behandlung mit bestimmten Chemotherapeutika Omega-3-Fettsäuren Polyneuropathie verhindern könnten. 70% der Patienten, die während einer Paclitaxel-Therapie mit Omega-3-Fettsäuren behandelt wurden, entwickelten keine Symptome einer CIPN. Im Blog „Polyneuropathie und Omega-3“ erfahren Sie mehr zu diesem Thema.

Darüber hinaus wird in der Regel  zu Kühlakkus und Kompressionsstrümpfen geraten. Dies ist allerdings nur temporär wirksam. Wenn die Kühlung beendet wird, erlischt auch die schützende Wirkung.

Selbsthilfemaßnahmen wie eine gute Nährstoffversorgung, Massagen, sensorische und motorische Übungen mit Zehen und Fingern sollten immer auf dem Tagesplan stehen.

Zusammenfassung

Das Auftreten einer Chemotherapie induzierten Polyneuropathie hängt stark von den in der Therapie eingesetzten Wirkstoffen, ihrer Dosierung und der Dauer ihrer Anwendung ab. Lassen Sie sich vom Onkologen und dem Pflegepersonal hier ausreichend beraten und melden Sie es ihren behandelnden Ärzten sofort, sobald sich erste Symptome zeigen.

Viele Onkologen sind nicht umfassend mit dem Thema vertraut, es lohnt sich bei der Behandlung ihrer Polyneuropathie selbst aktiv zu werden, sich zu informieren und Behandlungsmöglichkeiten über die Standardmedikation hinaus einzufordern.

(1) Ewertz et al. 2015: Chemotherapy-induced peripheral neuropathy in patients treated with taxanes and platinum derivatives Acta Oncol 54, 587-591

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