Jan 24, 2023
Kühlakkus und positive Gedanken -
Polyneuropathie & meine Brustkrebsreise
Mehr als ein Drittel der an Krebs Erkrankten entwickelt im Laufe der Akuttherapie eine Polyneuropathie - unterschiedlich stark, mit unterschiedlicher Symptomatik. In der Reihe „50 shades of Polyneuropathie" erzählen uns Betroffene von ihren Erfahrungen damit.
Warum? Die wenigsten Ärzte und Pflegenden sind ausreichend ausgebildet, um kompetent über die Vorbeugung und Behandlung einer Polyneuropathie aufklären zu können. Wir wollen informieren, teilhaben lassen und Betroffene darin stärken, autonom Entscheidungen treffen und Therapien einfordern zu können. Lesen Sie in "Chemotherapie induzierte Polyneuropathie" mehr zum Thema.
Carina, OP-Schwester und Studentin der Sozialen Arbeit, hat mit uns über genau dieses Thema gesprochen. Ihre Brustkrebsreise ist geprägt von wenig einfühlsamen Ärzten und viel Eigen-Engagement bei der Informationsbeschaffung. Auf Instagram hat sie mit ihrem großen Herz, viel Sympathie und gezielter Informationsweitergabe eine wunderbare Community um sich versammelt.
Der Beginn der Brustkrebsreise
Liebe Carina, erst einmal ein ganz großes Kompliment und Lob. Ich liebe dein Instagram-Profil, ich folge dir jeden Tag, lese mit und finde, dass du eine ganz grandiose Arbeit machst. Wir sind ja auch immer mal im Gespräch mit Betroffenen. Und diejenigen monieren immer, dass es genau an solchem Input in ihrem Alltag fehlt. Sie wollen an Geschichten teilhaben, dadurch mehr Sicherheit im Umgang mit ihren Beschwerden gewinnen und natürlich auch ein paar Tipps zur Behandlung von Polyneuropathie und anderen Nebenwirkungen oder zum Umgang mit der Krebstherapie abfassen.
Danke für das Kompliment 😊.
Magst du uns einmal von deiner Brustkrebsreise berichten?
Ja, gern. Ich hatte bei mir im Dezember 2020 den Knoten in der Brust ertastet. Am nächsten Tag bin ich gleich zum Gynäkologen, anschließend zum Radiologen und einige Tage später zur Biopsie. Dann kamen die Feiertage. Anfang des nächsten Jahres habe ich dann die Diagnose erhalten. Bis zum Termin im Brustzentrum am nächsten Tag war ich eigentlich auch noch ganz optimistisch, hab mir gedacht „Ja, das schneiden wir weg und dann ist’s gut“.
Ok, du hast dich nicht verrückt gemacht. Bemerkenswert!
Ja, aber ich bin generell einfach ein sehr positiv eingestellter Mensch. Aber ich wusste trotzdem, als ich den Knoten ertastet habe, dass das nichts Gutes sein wird. Nichtsdestotrotz…
Im Klinikum haben sie mir dann die ganzen Werte erklärt und klar gemacht, dass ich um die Chemo nicht drum herum komme. Da ist dann alles über mir zusammengestürzt. Ich kann mich gar nicht mehr richtig an das Gespräch erinnern. Irgendwann zog alles Gesagte nur an mir vorbei.
Und dann ging wahrscheinlich der Marathon los? Ärzte, Untersuchungen, Therapievorbereitung usw.
Genau. Da war ich echt dankbar, dass ich als Krankenschwester mit den Abläufen im Krankenhaus etwas vertraut bin.
Ich hab dann Ende Januar das PET-CT gehabt, wo glücklicherweise rauskam, dass ich keine Metasthasen habe. Mit der Nachricht hab ich dann so Stück für Stück auch wieder ein bisschen Hoffnung aufbauen können und Zuversicht gewonnen. Du wirst dann halt einfach in diesen Kampfmodus hineinversetzt.
Ja und dann hab ich im Februar, an meinem Geburtstag, meine erste Chemo erhalten. Geburtstagscocktail mal anders ((lacht)). Ich hab die kleineren Chemos, die Paclitaxel-Einheiten, zuerst bekommen und im Anschluss dann die größeren „Pakete“, die E/C-Chemos.
Das Kribbeln in den Fingern begann dank Kühlakkus erst spät
Wann trat die Polyneuropathie bei dir zum ersten Mal auf?
Zum Ende der 12 Paclitaxel-Chemos hab ich das erste Mal das Kribbeln in den Fingern gespürt. Ich muss aber sagen, ich war die einzige, die während der gesamten Therapie immer gekühlt hat. Ich bin mit meiner kleinen Kühltasche und den Akkus gekommen. Mich haben alle immer etwas schräg angeschaut, aber das war mir egal.
Ach, das wurde gar nicht standardmäßig mit angeboten?
Nein, nein, das hat einem dort keiner gesagt. Ich hatte das vorab gelesen und mich entsprechend vorbereitet. Mein Onkologe meinte nur „Ja ja, kann man schon machen.“
Als das Kribbeln aber dann auftrat, bin ich direkt zum Arzt hin und hab gesagt, ich möchte eine Hochtontherapie verschrieben bekommen. Er war da eher gleichgültig und fragte mich, warum. Ich war dahingehend relativ selbstbewusst und wollte das halt gleich am Anfang angehen, bevor etwas chronisch geschädigt wird. Die Therapie hab ich dann bekommen.
War es nur das Kribbeln in den Händen oder haben sich auch taube Füße oder Zehen bemerkbar gemacht?
In den Füßen und Zehen habe ich nichts gemerkt, kein Kribbeln, Taubheit oder Missempfindungen. Nur die Hände und auch eher unregelmäßig.
Hast du auch Medikamente gegen die Polyneuropathie bekommen?
Ja, man hat mir Cymbalta verschrieben, ein Antidepressivum, was auch bei Nervenschmerzen angewandt wird. Die nehme ich auch immer noch. Bei der Hochtontherapie hab ich 8 von 10 Sitzungen gemacht.
Aufklärungsmangel und Ärztehörigkeit
Und wie ging es weiter auf deiner Brustkrebsreise?
Ja, nach den vier großen Chemos hab ich dann die Mastektomie gehabt. Meine Lymphknoten waren glücklicherweise nicht befallen. 6 Wochen später war ich dann auf REHA und im September 2022 hab ich einjähriges Jubiläum der Antihormontherapie „gefeiert“.
Hast du noch Einschränkungen, was die Nerven angeht?
Gott sei Dank nicht. Ich bin froh und dankbar, dass ich schnell reagiert und selbstbewusst die Therapie eingefordert und auch die Kühlung konsequent durchgezogen habe.
Das freut mich für dich und es ist – so erfahren wir leider häufiger – nicht der Normalfall, dass Betroffene so selbstbewusst agieren. Viele sind doch sehr arzthörig – was auch verständlich ist in der Situation. Wenn man dann aber gerade an einen Arzt gelangt, der eben wenig Bescheid weiß auf dem Gebiet der Polyneuropathie, dann steht und fällt die eigene Lebensqualität eben ganz wesentlich.
Absolut. Ich hab mich auch total geärgert. Ich hatte jede Woche mit einer älteren Dame gemeinsam Chemo und die hatte starke Polyneuropathie: Kribbeln in den Füßen, Beinen bis hin zu Bewegungseinschränkungen. Ich hab sie dann ermutigt, das den Onkologen mitzuteilen. Sie hätte das wahrscheinlich nicht von allein gemacht. Von den Ärzten und dem Pflegepersonal zumindest hat sie niemand vorgewarnt oder sie auf diese Nebenwirkung hingewiesen.
Ja, wir haben das auch im Gespräch mit Betroffenen gehört. Aufklärung kommt leider oft zu kurz. Es ist gewissermaßen aber auch ein Teufelskreis, denn Fortbildungen zu diesem Thema sind rar gestreut. Häufig ist nicht mal das Pflegepersonal ausreichend mit den Nebenwirkungen vertraut, um Patienten und Patientinnen hier kompetent beraten zu können. Bei Ärzten stehen oft andere Prioritäten als diese Nebenwirkungen auf dem Fortbildungsplan.
Ja. Hab ich auch sehr deutlich so wahrgenommen. Ich mein, es ist ja auch nicht klar bewiesen, ob Kühlung oder Kompression nun so viel bringt. Und es ist natürlich auch unangenehm, da über Stunden teilweise mit Eiszapfen-Händen und Füßen dazusitzen. Aber man tut eben alles, was man kann, in der Situation.
Wie ging's dann weiter bei dir?
Ja, ich bin dann nach 9 Monaten wieder zurück zur Arbeit, hab aber wie vorher nur ne 8-Stunden-Woche, weil ich hauptberuflich studiere.
Und? Ist das gut machbar?
Naja, mal ja, mal nein. Ich bin nur etwas konsequenter geworden, mache keine 12-Stunden- und keine Nachtdienste mehr, springe selten ein, wenn jemand krank ist. Das tut mir einfach nicht gut. Ich merke sehr schnell, dass mein Pensum nicht mehr auf dem Level von vorher ist, ich viel schneller an meine Grenzen komme.
3 Worte, die meine Brustkrebsreise beschreiben: anstrengend, schaffbar, bewusstseinserweiternd
Was die Brustkrebsreise so besonders macht ...
Mit welchen drei Worten würdest du deine Brustkrebsreise beschreiben?
Anstrengend, schaffbar, bewusstseinserweiternd. Anstrengend sowohl körperlich als auch psychisch. Wobei man in der Akuttherapie eigentlich eher auf Funktionieren eingestellt ist. Die Seele hat sich bei mir erst etwas später eingeklinkt, nachdem ich die Akuttherapie abgeschlossen und Zeit hatte, zu verarbeiten und mir darüber klar zu werden, was ich durchlebt und geschafft habe.
Ich erinnere mich, dass ich zu Beginn ganz oft nachts diesen Umschwung wahrnahm. Ich bin aufgewacht und war leicht - und nach ein paar Sekunden brach es über mich herein, das Gedankenkarussell. Dann akzeptiert man es, man hat einen Plan und dann knallt die körperliche Anstrengung rein: die Chemo und Nebenwirkungen überstehen. Und ganz danach meldet sich die Psyche wieder zurück, die alles verarbeitet wissen will.
Schaffbar ist es, das glaubt man am Anfang nicht, wenn man die Liste an Terminen bekommt, einem die Menge an Wegen und die Masse an Medikamenten bewusst wird. Das türmt sich zu Beginn sehr und man fragt sich, puh, wie komm ich jemals über den Berg? Aber man schafft es und man treibt sich selbst dazu an.
Mir ist es wichtig zu vermitteln, dass, selbst wenn es schwierig ist, der Mensch so eine Kraft entwickeln kann, die man sich vorher gar nicht vorstellen kann.
Und das ist auch, warum es bewusstseinserweiternd ist: Man kommt an eine massive Grenze und überwindet diese und hätte das nicht für möglich gehalten. Das hat bei mir auch zu einer ganz anderen Wahrnehmung geführt. Ich schätze das Schöne, das bewusste Aufsaugen von Dingen, die mir Kraft geben. Das war vorher nicht so.
Das betrifft auch Selbstfürsorge. Ich war früher immer ein sehr hektischer Mensch, lange To-Do-Listen usw. Jetzt nehme ich mich oft ganz bewusst raus und akzeptiere meine Grenzen.
Wenn du etwas nicht ändern kannst, nimm es an und mach das Beste draus!
Weshalb die Frage nach dem Warum nichts bringt
Hast du dir oft die Frage nach dem Warum gestellt?
Nein, ganz bewusst nicht. Ich hab mir immer vor Augen gehalten, dass das nichts bringt. Ich glaube, ich hab da von Haus aus bei meiner Erziehung viel Widerstandskraft mit auf den Weg bekommen. Ich bin sehr resilient und positiv eingestellt. Meine Eltern haben mir immer eingetrichtert: Das, was du nicht ändern kannst, nimmst du an und machst das Beste draus. Aber es ist trotzdem ein Prozess: Zweifel, Sorgen, das ist immer präsent.
Ich finde das so wichtig, dass du das sagst. Es liegt ja in unserer Natur, Dinge verstehen zu wollen, vor allem das eigene Schicksal. Und es erfordert sicher einen starken Geist, sich darin nicht zu verlieren.
Klar, ich persönlich bin auch so ein Mensch, der das braucht. Ich brauche Informationen, ich muss einzelne Schritte und Konsequenzen absehen können, um mich angemessen darauf einzustellen. Deswegen hab ich die Ärzte immer gelöchert: Was passiert, wenn es nicht anschlägt, womit muss ich bei der Therapie rechnen, was sind die nächsten Schritte usw.
Viele andere wollen das gar nicht alles wissen, die sind davon eher eingeschüchtert und verängstigt. Aber der Umgang mit so einer Situation ist eben bei jedem anders. Man sollte sich nur ganz bewusst fragen, was tut mir gut, was nicht.
Was liegt dir am Herzen?
Was ist dir wichtig und was wünschst du dir für die zukünftige Praxis der Krebstherapie?
Hm, ich glaube, dass es sehr wichtig ist, dass Krebspatienten und -patientinnen kompetente Ansprechpartner in den Ärzten finden. Dass sie aber auch in ihrem Umkreis jemanden brauchen, mit dem sie sprechen können, dem sie sich anvertrauen können.
Der Austausch mit anderen Betroffen ist absolut hilfreich. Man spricht auf einer ganz anderen Ebene miteinander, wenn man bestimmte Erfahrungen teilt. Psycho-Onkologen sind auch eine gute Stütze in der Zeit. Mir tut der Gedanke weh, dass jemand in so einer Situation allein ist.
Was liegt mir noch am Herzen? Eine positive Einstellung, ein optimistisches Mindset. Das erleichtert das Leben so sehr. Durchhänger sind normal, aber wenn man zuversichtlich nach vorn sehen kann, dann kann man daraus Kraft schöpfen, statt daran zu verzweifeln.
Was ich auch jedem wünsche, sind empathische Ärzte und wenn einem das nicht gegönnt ist, dann den Mut, zu sagen, dass man mit jemandem nicht kann und sich jemand anderen für die Betreuung wünscht.
Ich habe so eine schlechte Erfahrung gemacht. Ich hatte nach der fünften Paclitaxel ein ungutes Bauchgefühl und hab den Arzt um einen Ultraschall gebeten. Der hat den abgelehnt, meinte, wir sollten bis zum Ende der 12 Paclitaxel-Chemos warten. Ich hab mich in dem Moment nicht durchsetzen können und das hat mich stark belastet. Am Ende wurde festgestellt, dass der Tumor gewachsen ist. Das heißt, ich weiß nicht, ob die Paclitaxel-Chemos überhaupt etwas bewirkt haben.
Ein Arzt hat einer anderen Patientin im Übrigen mal gesagt, seiner Frau würde er ihre Zytostatika nicht verabreichen, die richten mehr Schaden an, als es Gutes tut. Soviel zum Thema Empathie.
Puh, das erschreckt mich. Also Transparenz schön und gut, aber Kommunikation und Mitgefühl will eben auch gelernt sein. Und Vertrauen kann so definitiv nicht aufgebaut werden. Ich bedauere, dass ihr beide diese Erfahrung machen musstet.
Man wächst daran und über sich hinaus 😉.
Liebe Carina, ich danke dir für deine Gedanken, deine Erfahrungen, Herausforderungen und deine Hoffnungen, die du mit uns geteilt hast! Es hat mich bewegt und ich hoffe, dass es viele Betroffene erreicht und ihnen Kraft gibt, selbstbewusst mit Ärzten, der Therapie und Nebenwirkungen umgehen zu können.
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